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Spuren Im Geist

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paticcasamuppāda

Die zwölfgliedrige Entstehungskette vom Leid

Vortrag zum Meditationstag 
»Spuren im Geist«

 

Siddhattha Gotama, der historische Buddha, zog mit 29 Jahren in die Hauslosigkeit. Sein Ziel: einen Weg aus dem Leiden zu finden. Leiden heißt in Pali, der Sprache, in der Buddha sprach, Dukkha. Die erste Frage, die wir uns stellen können, ist: Was ist dieses Dukkha? Die erste der vier von Buddha aufgestellten edlen Wahrheiten zählt dieses Dukkha auf, nämlich: Geburt, Krankheit, Alter und Tod sind Dukkha; Kummer, Jammer, Sorgen und Trübsal sind Dukkha; von Liebem getrennt, mit Unliebem vereint zu sein und nicht zu bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha. Kurz: Anhaftung ist Dukkha.

 

Nach einer Aussage Buddhas sind Glück und innerer Friede unsere wahre Natur. Es ist das, was übrig bleibt, wenn wir das aufgeben, was uns leiden lässt. Statt die Frage zu stellen: Warum erfahre ich Leid, könnte man auch fragen: Warum erfahre ich nicht dauerhaft Glück und inneren Frieden? Da Leid die Folge ist von Anhaftung, bedeutet die Aufhebung von Leid automatisch auch die Erfahrung von Freiheit. Ziel der Meditationspraxis ist es also, dauerhaftes Glück, inneren Frieden und Freiheit zu erfahren.

 

In den Yogasutras von Patanjali heißt es: Nicht nur die Anhaftung, allein schon das Unterworfensein an dem ständigen Wandel ist leidhaft. Wandel bedeutet, dass Dinge entstehen, Gebreche bekommen, zerfallen und wieder vergehen. Geburt, Krankheit, Alter bzw. körperlicher und geistiger Zerfall und Tod müssen also nicht nur auf unser Dasein bezogen werden, sondern auf alles, was entsteht und folglich auch wieder vergeht. Auch eine schöne Blume entsteht, bekommt Gebreche, verwelkt und vergeht. Nicht die Blume leidet darunter, sondern wir, wenn wir an dieser Blume hängen. Statt von Geburt, Krankheit, Alter und Vergehen sprechen wir also von Entstehen, Gebrechen, Zerfall und Vergehen, um alles einzuschließen, was uns leiden lassen könnte.

 

An einem bestimmten Punkt seiner Suche erkannte Siddhattha, dass für ihn Kontemplation in Verbindung mit meditativer Versenkung der Weg zur befreienden Erkenntnis war. Von da an ging er den mittleren Weg zwischen Selbstquälerei und unnötigem Luxus und erforschte das Dasein mit Hilfe dieser meditativen Kontemplation. Bei seiner Untersuchung stieß er auf das Gesetz der bedingten Entstehung des Leidens, Paṭiccasamuppāda.

 

Paṭiccasamuppāda, besagt, es gibt dies, weil es jenes gibt, so wie es Licht und Wärme gibt, weil es eine Sonne gibt. Die Sonne ist die Voraussetzung für Licht und Wärme. Weil es zwölf Bedingungen für die Entstehung von Dukkha gibt, spricht man auch von der zwölfgliedrigen Entstehungskette. Wenn eine dieser Bedingungen nicht erfüllt ist, entsteht kein Dukkha. Wir betrachten die zwölf Bedingungen rückwärts, so wie Buddha bei seiner Untersuchung vorgegangen ist. Dies in der Hoffnung, ein wenig Einsicht in die Entstehung von Dukkha zu gewinnen, vor allem aber, um zu sehen, wie es vermieden werden kann. 

 

Nachdem Siddhartha in seiner Untersuchung festgestellt hatte, dass Dukkha mit Gebrechen, Zerfall und Vergehen zusammenhängt, stellte er sich die Frage: Was ist die Bedingung für Gebrechen, Zerfall und Vergehen? Er beschäftigte sich intensiv mit dieser Frage und die Erkenntnis stieg in ihm auf: Die Bedingung für Gebreche, Zerfall und Vergehen ist das Entstehen. Das klingt für uns sehr klar und logisch und wir könnten uns fragen: Warum ist er nicht gleich darauf gekommen! Aber er begann ganz unvoreingenommen und stellte auch das Offensichtliche in Frage. Er beantwortete diese Frage auch nicht mit seinem Intellekt, sondern „sah“ die Antwort mit einem völlig klaren und offenen Geist, was zu einer tiefen Erkenntnis führte.

 

Dann stellte er sich die Frage, was die Bedingung für das Entstehen ist und erkannte, dass das Heranwachsen die Bedingung für das Entstehen ist. Die Dinge sind nicht sofort da, sie brauchen Zeit, um heranzuwachsen. So wie ein Baby im Mutterleib heranwächst, bevor es geboren wird, so wachsen Dinge und Ereignisse heran, bevor sie entstehen. Die nächste Frage war: Was ist die Bedingung für das Heranwachsen? Die Antwort: Die Bedingung für das Heranwachsen ist das Anhaften. Anhaften bedeutet, dass der Geist an etwas festklebt. Damit ein Baby im Mutterleib heranwachsen kann, braucht es Nahrung. Das Anhaften ist sozusagen die Nahrung für das Heranwachsen. Ein Beispiel: Im Schaufenster liegt eine schöne Uhr. Preis: zu teuer. Aber wir hätten sie gerne. Im Laufe der Wochen gehen wir noch einige Male zufällig am Schaufenster vorbei und denken: Schön, aber zu teuer und ich brauche sie auch nicht unbedingt. Die Zeit vergeht, die Uhr verschwindet im Unterbewusstsein und eines Tages, die Sonne scheint, wir sind gut gelaunt, die Uhr im Schaufenster ploppt wieder auf und wir denken: Ja, ich kaufe sie doch oder Ähnliches.

 

Der Grund, warum der Geist an etwas festhält, ist das Haben-Wollen. Warum wollen wir etwas haben? Weil wir damit eine angenehme Empfindung bzw. ein angenehmes Gefühl verbinden. Wenn ich das habe, fühle ich mich besser. In den Yogasutras von Patanjali heißt es: Das Habenwollen entsteht aus der Annahme, dass durch etwas Glück entsteht. Die Dinge selbst bringen kein Glück hervor. Sie sind einfach so, wie sie sind. Sie erzeugen auch kein Leid. Leid entsteht nur durch Anhaften. Wie ein Pflaster auf der Haut. Nicht das Pflaster selbst verursacht den Schmerz, und solange es auf der Haut klebt, ist alles in Ordnung. Der Schmerz kommt erst, wenn man es von der Haut abzieht.

 

In der buddhistischen Lehre gehören neben allem, was wir sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen, auch die Gedanken zu den Wahrnehmungen. Alle Wahrnehmungen werden von Empfindungen begleitet. Entsteht eine Empfindung durch den Geist, so nennt man sie Gefühl. Zum Beispiel sind Liebe und Hass Geisteszustände, die mit dem entsprechenden Gefühl einhergehen. Diese Empfindungen oder Gefühle sind entweder angenehm, unangenehm oder neutral. Natürlich sind nicht alle Empfindungen gleich angenehm oder unangenehm. Der Zeiger schlägt mal mehr, mal weniger aus oder bleibt bei neutralen Empfindungen in der Mitte stehen. Bevor es überhaupt zu einer Empfindung kommen kann, muss der Geist mit dem Objekt in Kontakt treten. Voraussetzung für Empfindung ist also Kontakt. Voraussetzung für Kontakt ist Wahrnehmung. Nur durch die Wahrnehmung treten wir mit dieser Welt in Kontakt. Voraussetzung für die Wahrnehmung sind die Sinnesorgane Augen, Ohren, Nase, Zunge, Haut und das gesamte Nervensystem inklusive Gehirn, die zum Körper gehören. Das, was aus dem Nervensystem inklusive Gehirn hervorgeht, nennt man Geist. Die Bedingung für Wahrnehmung ist also ein Körper und ein Geist, der die Wahrnehmung verarbeitet. 

 

Damit sind wir beim letzten Abschnitt angelangt: Bewusstsein, Gestaltung und Unwissenheit. Die Bedingung für die Entstehung von Körper und Geist ist Bewusstsein. Ohne Bewusstsein wären Körper und Geist nicht lebensfähig. Bewusstsein entsteht durch das Zusammentreffen von Sinnesorganen und Objekten. Bedingt durch das Auge und sichtbare Formen entsteht Sehbewusstsein. Durch das Ohr und die Töne entsteht Hörbewusstsein. Durch die Nase und Gerüche entsteht Riechbewusstsein. Durch die Zunge und den Geschmack entsteht Geschmacksbewusstsein. Durch die Haut und Druck oder Temperatur entsteht Tastbewusstsein. Durch das Gehirn und die geistigen Formationen, die Aktivitäten und Prägungen des Geistes, entsteht Geistbewusstsein. Aktivitäten des Geistes sind zum Beispiel: Planen, Erinnern, Vorstellen, Bewerten. Prägungen des Geistes sind zum Beispiel: Begehren, Liebe, Freude, Hass.

 

Voraussetzung für das Entstehen von Bewusstsein ist Gestaltung. Das Bewusstsein gestaltet sich mit dem, was bereits gestaltet ist. Das Bild von dieser bereits gestalteten Klangschale hat sich in unserem Bewusstsein gestaltet, weil wir sie durch unseren bereits gestalteten Augen sehen. In der Entstehungskette ist mit Gestaltung jedoch spezifisch gemeint: die Gestaltung des Denkens, Redens und Tuns. Es betrifft hier also die geistigen Formationen und die Rede und das Tun, was daraus fortkommt, weil, vor wir etwas sagen oder tun, sich dies erst in unserem Geist gestaltet. Dieses Denken, Reden und Tun prägt unser Bewusstsein. Unser Bewusstsein ist von wesentlich anderer Art, je nachdem, ob wir liebevoll oder hasserfüllt denken, reden und handeln. Durch unser Denken, Reden und Handeln wirken wir in dieser Welt, und das hat bestimmte Folgen. Wenn das Denken, Reden und Handeln im Heilsamen wurzelt, wird es heilsame Folgen haben. Die Unwissenheit bzw. das Nicht-Erkennen vom Leid und seiner Ursache ist die Voraussetzung für die unheilsame Gestaltung und ihre unheilsame Folgen, sprich Leid.

 

Wenn wir unseren Geist daran gewöhnen, sich nicht sofort an alles Mögliche zu klammern, wird unser Geist ruhiger und stabiler. Jetzt ist es oft so, dass der Geist wie ein wilder Affe von Ast zu Ast springt. Ein Gedanke kommt, der Geist klebt daran; ein Gefühl steigt auf, der Geist klebt daran; wir nehmen etwas wahr, der Geist klebt daran. Alle Anhaftungen zu lösen, ist ein langer Prozess, und es ist unwahrscheinlich, dass es uns gelingt. Aber je mehr es uns gelingt, desto mehr Glück, inneren Frieden und Freiheit werden wir erfahren. 

 

Bei der Auflösung von Dukkha können wir die Schlussfolgerung ziehen, wenn dies nicht ist, ist das auch nicht. Aber, das bringt wenig Verständnis für das, was während der Prozess der Transformation des Geistes geschieht und was sich im alltäglichen Leben ändert. Schauen wir also jetzt, was im Prozess der Auflösung von Dukkha mit den zwölf Bedingungen geschieht. 

 

Wie mehr Wissen wir durch Erkenntnis ansammeln, wie mehr die Gestaltung unser Denken, Reden und Tun vom Heilsamen und weniger vom Unheilsamen geprägt wird. Verlangen und Aversion verlieren an Intensität und Kraft. Da Verlangen und Aversion direkt mit unserem Ego in Verbindung stehen, löst als Folge dessen auch das Ego sich immer weiter auf. Das Ego schafft ein dualistisches Bewusstsein, es teilt die Welt in Dies und Jenes und führt zu einer Trennung von Ich und Welt. Wie mehr das Ego sich auflöst, wie mehr unser Bewusstsein von Einheit und Verbundenheit geprägt sein wird.

 

Je mehr unser Bewusstsein von Einheit und Verbundenheit geprägt ist, desto mehr werden wir auch unseren Körper und Geist als Teil dieses großen Ganzen erleben. Der Vorhang, der uns von der Welt trennt, wird immer dünner und durchsichtiger. Wahrnehmungen werden immer mehr zu reinen Wahrnehmungen, ohne zusätzliche Bewertungen, Auseinandersetzungen und ohne dass etwas hineininterpretiert wird. Und auch die Idee des „Ich-nehme-wahr“ tritt immer mehr in den Hintergrund. In den Yoga-Sutras von Patanjali heißt es: Wenn der Wahrnehmende, die Wahrnehmung und das Wahrgenommene eins werden, dann ist Erleuchtung erreicht.

 

Wiedervereinigung ist eine, bewusste oder unbewusste, tiefliegende Sehnsucht in uns. Infolgedessen löst die Trennung von ich und Welt eine innere Spannung aus. Anders gesagt, der Kontakt mit dieser Welt führt, bedingt durch die Trennung, zu Spannungen. Löst diese Trennung sich auf, wird der Kontakt mit dieser Welt automatisch entspannter und gewinnen wir an Gleichmut. Was bedeutet, das wir die Dinge so annehmen, so wie sie sind. Infolgedessen haben die Empfindungen weniger Impakt auf uns und verliert das Verlangen an Kraft. Dadurch werden die Anhaftungen schwächer und weniger. Mit anderen Worten: Die Spuren in unserem Geist lösen sich allmählich auf. Wenn die Anhaftungen schwächer und weniger werden, wird auch weniger heranwachsen. Wenn weniger heranwächst, wird auch weniger entstehen und folglich auch weniger vergehen. So löst sich das, durch Verlangen bedingtes Rad des Entstehens und Vergehens sich auf.

 

Der Geist eines Befreiten kann nach Buddha mit einem Lotusblatt verglichen werden. So wie die Wassertropfen rückstandslos von einem Lotusblatt abperlen, so entstehen und vergehen die Dinge in seinem Geist, ohne eine Spur zu hinterlassen. In vollkommenem Gleichmut verweilend, haftet er an nichts. Da er an nichts haftet, ist er frei von Leid und erfährt Glückseligkeit und vollkommenen Frieden. 

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